Samstag, 29. Dezember 2018

Versuchskaninchen am Sportinstitut


Die Aufgabe: jede Woche einmal nüchtern zum Laktattest erscheinen, jeweils nach unterschiedlicher Ernährung. Das Ganze 4 Wochen lang. Ganz easy also.
Da ich mich seit Anfang September immer mehr vegan ernähre (Ausnahmen Ei und Honig), wurde die Aufgabe nicht einfacher.
Der Ernährungsplan: Mischkost, High Carb, Mischkost, Lowcarb.

Es war eigentlich ganz lustig mal genau zu dokumentieren was man die Woche über so zu sich nimmt…
Der erste Test lief super. Ich fühlte mich fit und konnte das Laufband ordentlich rauschen lassen.
Und dann wurde alles schwieriger… ein matschiger, schlafloser WK in Frankreich (Saintélyon) und der zweite Test…
Und dann kam mein mentales Loch mit.… Man kann sagen was man will, aber mit Muskelkater und bereits übersäuerten Beinen aber vollgeladenem Kopfakku läuft man einen Laktattest tatsächlich besser als wenn der Kopf voller Wut und Zwiespälte ist! Meine Spitzenwerte wurden also, anders als anfangs erträumt, nicht besser…In der Studie selbst ging es mehr um den Kurvenverlauf (Verhältnis zwischen Laktatwert und Tempo) als um die Abbruchstufe/zeit.
Mir hat es mir aber Spaß gemacht das Laufband rauschen zu lassen… Jetzt Ohr heilen lassen und das Leben geht weiter… draußen im Wald.




Donnerstag, 27. Dezember 2018

Rheinzabern, endlich dabei


10 Jahre wohne ich jetzt schon in Karlsruhe. Laufen tu ich genauso lang. Und dennoch bin ich noch nie in Rheinzabern gelaufen, diese zunächst unscheinbare Winterlaufserie auf der anderen Seite des Rheins, die aber für Rekordstarterzahlen und Bestzeiten bekannt ist. Warum war ich nie dabei? Zu spät im Jahr, zu müde, zu kalt oder einfach zu faul?

Dieses Jahr (eigentlich wie jedes Jahr) glaubte ich fest dran, dass endlich die Zeit für einen Start in Rheinzabern kommen würde.
Die Saintélyon hatte ich in meiner Kalkulation etwas unterschätzt, aber egal. Irgendwann musste ich hin.


16.12. alles ist schneeweiß. In Karlsruhe hat es ordentlich geschneit… einzigartig. Natürlich will ich lieber auf meinem Hausberg laufen… Es ist dort schöner, entspannter, einfacher.
Ich halte an meinem Vorhaben fest. Es kann nur gut tun, bekannte Gesichter wieder zu sehen. Die letzten Wochen auf der Arbeit waren sehr nervenaufreibend, Ärger, wochenlang Unklarheiten, Wut,... mit anderen zu laufen, so zu tun als ob alles gut wäre kann nur helfen…

Also gen. Rheinzabern. Ich komme bei starker Schneefall an. Die Straße ist glatt und rutschig… Bestzeiten kann man heute vergessen. Wie erwartet treffe ich schnell bekannte Gesichter. Es tut mir gut. Ich stehe in der 5. Reihe an der Startlinie…

Pang und los. Alle stürmen los, ich laufe einfach mit, 3’30 scheint OK… 
 
1k, 2k, 3k ich werde immer langsamer, werde immer öfter überholt… ich kämpfe weiter… ab k4 kämpfe ich nicht mehr… Warum auch? Mein Kopf ist nicht da und voller Wut! Mein Körper braucht aber diesen Kopf um vorwärts zu kommen… Mein Wettkampf ist zu Ende, ich kann nicht im Kopf doppelt kämpfen. Also entspanne ich mich und laufe so wie es geht… 

Nach über 40‘ Rutscherei erreiche ich die Ziellinie. Die Zeit ist grottenschlecht. Mir ist es egal, ich habe zumindest etwas getan und im Kopf geht es mir einen Tick besser. Schnell umziehen und ich gehe noch einen Arbeitskollegen mit seinem Sohn anfeuern! Dann nach Hause…

Essen und direkt mit ANNA im Schnee wandern gehen… Diese Ruhe tut mir gut. Ich weiß jetzt auch, dass ich was ändern muss. 


Sonntag, 9. Dezember 2018

SainteLyon - schlammiger Jahresabschluss


Saintélyon oder wer traut sich im Dezember in die Hölle der Nacht?


Am Wochenende lief ich die Saintélyon.
Dieses Rennen, ziemlich unbekannt in Deutschland, ist für die Franzosen ein echter Klassiker. Man feiert schon stolz die 65. Auflage! 65 Jahre! da hat sich viel geändert… aber eines ist geblieben: man läuft von Saint Etienne bis nach Lyon, durch eine winterliche Nacht Anfang Dezember. Wer ist ursprünglich mal auf diese verrückte Idee gekommen und hätte er jemals geahnt, dass er so viele Follower finden wird? 17500 Laufbegeisterte standen diese Jahr in den Startlöchern.

Das Event bietet inzwischen neben der Origanalstrecke auch kürzere Strecken an:
Saintétic: 12km
SaintéSprint: 27km
SaintExpress: 44km
SaintéLyon: 81km

Für das 65.  Jubiläum hatte der Race Director die Originalstrecke noch mit ein paar zusätzlichen Kilometer und Höhenmetern aufgepeppt: 81km mit 2400hm.

Als Petzl mich Anfang des Jahres zu diesem Rennen einlud, war ich natürlich heiß auf die längste Strecke. Wenn schon, denn schon: Eine Reise nach Lyon sollte sich lohnen!
Aus Erzählungen französischer Läufer meinte ich zu wissen, dass mich ein rollendes Gelände erwarten würde. Die schnellen Siegerzeiten sprachen auch nicht gerade für technische Herausforderungen…
Die größte Herausforderung würde das Wetter darstellen. Man muss zu dieser Jahreszeit hier immer mit Schnee, Eis, Wind und Regen rechnen.
Soweit meine Überlegungen zu den Randbedingungen. Ich war zuversichtlich.
Plötzlich war dann der erste Dezember da.
Früh morgens nahm dem Zug über Straßburg nach Lyon. Noch ein Stück mit der U-Bahn und schon hatte ich meine Startnummer in der Hand. 



Bild: SainteLyonKurz vor dem Start in Saint Etienne

Kurz von der Reise erholen, und dann geht es auch schon mit einem Bus voller Laufverrückter nach Saint Etienne. Eine riesige Halle erwartet die 7500 Läufer. Ich kann es nicht glauben: 7500 Verrückte sind wirklich bereit nachts  in der Kälte die Originalstrecke zu bezwingen!
Kurz nach 23Uhr geh ich in den Startbereich. Zum Glück darf ich ganz vorne starten! Zusammen mit den Profis…
Bild: SainteLyon
Es geht pünktlich los! Der Start ist schnell, wir laufen die ersten 3km unter 4min/km und das trotz Höhenmetern und vollem Rucksack!. Das Wetter ist eigentlich ganz OK. Leichter Regen, dafür aber nicht kalt.
Die ersten Kilometer sind durchgehend asphaltiert. Das ist auch gut so bei so vielen Teilnehmern… Ich lasse meine Stirnlampe Nao+ noch aus.

Ab k7 geht es in den Wald. Von der Dürre dieses Sommers kein Spur mehr, ich bin zwar ganz vorne, aber die Wege sind bereits unglaublich matschig! Erstes Wegrutschen auf heruntergefallenen Äpfeln, zum Glück ohne Sturz!

Die Steigungen sind unerwartet steil! Die Bergabpassagen aufgrund von rollenden Steinen und tiefem Matsch technischer als gedacht… Mir wird schnell klar, dass es hier unmöglich sein wird einen 5er Schnitt zu halten…

Bild: SainteLyon Eine Kette von Stirnlampen

Ab und an drehe ich mich um. Ich bin beeindruckt von dem Wurm aus tausenden von Stirnlampen. Irgendwie schöpfe ich daraus Energie. Unter uns sind immer wieder die Lichter in Dörfern zu erkennen. Echt schön.

Erstaunlich schnell erreiche ich die erste Verpflegung. 19km sind geschafft. Mir geht’s noch gut.

Es geht weiter durch die Nacht. Weiter bergauf. Ein bissige Wind lässt uns nicht mehr in Ruhe. Dazu kommt Schneeregen. Ich beiße die Zähne zusammen und freue mich immer wieder wenn wir in den Schutz eines Waldstückes kommen. Dabei bedeutet Wald knöcheltiefen Matsch…

Meine Hüftmuskeln werden langsam müde. Der Trainingsmangel im Gelände macht sich bemerkbar. Nächstes Jahr viel mehr Höhenmeter in steinigem anspruchsvollem Gelände! Ich bin so langsam und fühle mich so schwach, dass ich ans Aufgeben denke. Gehpausen kommen aber nicht in Frage, dafür ist es zu kalt! Ein sehr technisches Downhill (meine Meinung nach der härteste der Strecke) und ich bin am VP2.
Ich sehe die Busse. Ich könnte einfach einsteigen: Hop in die Wärme! Mein Po tut so weh! Es fühlt sich an wie eine Zerrung. Aber dann erinnere ich mich: wolltest Du nicht die steilste Steigung des Rennens sehen? Wolltest Du nicht das Gefühl die höchste Spitze des Rennens erklommen zu haben, erleben?… Mental bin ich wieder im Rennen. Ich laufe zur nächsten Verpflegung… 17km.
Bild: SainteLyon

Es regnet heftig. Der Wind ist so kalt, dass meine linke Wange fast abfriert!
Der höchste Punkt wird nur im Vorbeilaufen gewürdigt, zu kalt. Wir rasen runten und verpasse im Downhill eine Kreuzung… 500m (und 100hm) tiefer heißt es umdrehen und wieder hoch! FUCK!!!
Nun ist es endgültig entschieden: Ich gebe am nächsten VP auf!
Hoch, runter, hoch runter und plötzlich nirgendwo… Wir sind in tiefem Nebel. Und ich dachte immer bei starkem Regen gibt es keinenNebel! In Frankreich schon! Wir sehen gar nichts mehr. Die Sichtweite liegt unter 3m… Aufpassen, höchste Konzentration! Ich weiß nicht mehr wie, aber irgendwann komme ich zur 3. Verpflegung. Keine Busse. Keine einfache Möglichkeit auszusteigen… Ich sitze 2min auf einer Bank. Esse meinen Riegel. Allein im Regen. Dann steh ich auf und laufe weiter… Wohin, warum? Kein Plan! Einfach weiter.

Bild: SainteLyon so habe ich die Strecke nicht gesehen
Die Läufer schweigen alle, alles Zombies… Bis auf einer. Wir fangen an zu plaudern.
Er ist zum sechsten Mal dabei. Nie war es so hart. Aber ab der nächsten Verpflegung soll es einfacher werden… OK ich bin gewarnt…

Irgendwann war ich an der nächsten Verpflegung. Es ist immer noch Stockdunkel.
Ich will immer noch aussteigen. Also wieder 2min auf die Bank setzen, dieses Mal im Trockenen in einer Halle. Riegel essen. Hirn aus und weiter…
Bild: SainteLyon, so sahen die "Wege" aus

Schlamm Schlamm und noch mehr Schlamm. Ich freue mich über jede kleine asphaltierte Passage. Normalerweise hasse ich Asphalt.
Immer wieder begegnen wir mittem im Wald Zuschauern. Die Füße tief im Matsch feuern sie uns unermüdlich an. Das verblüfft mich immer wieder: „Leute was macht ihr da? Seid ihr verrückt???“ Die Antwort wundert mich noch mehr: wir sind für euch da, ihr seid Helden, was IHR schafft, ist bewundernswert…
Für mich sind sie die Außerirdischen. Diese Begegnungen erinnern mich daran warum ich laufe. Ich laufe für diejenigen, die nicht laufen können. Ich laufe um genau solche Leute zu entdecken und Freude zu teilen… Jetzt weiß ich es: Ich werde heute Finisher.

An der letzten Verpflegung stelle ich mir keine Fragen mehr. Ich weiß, dass ich bis zum Ziel laufen will. Es geht wieder hoch. Matsch, was sonst. Ein Schritt nach vorne bedeutet einen halben Schritt zurück. Dann runter durch einen Bach. Klar, wir müssen unsere Scuhe sauber machen, bevor es nach Lyon reingeht. Dann endlich kommt das Schild „5km to go“! 5 ist nichts!!! Nichts mehr, 4k, 3k. es geht über Treppen steil hinunter! 2km. es ist nur noch flach. Ich kann endlich die Lampe ausschalten (mein Akku hat die komplette Nacht durch gehalten), 1k. ich bin an der Halle, 0 Ich bin Finisher…

Ziel!!!




Ich reiß die Arme hoch in den Himmel: ich habe es geschafft. Man war es hart. Ich kam nach Lyon um einem entspanntes Jahresabschluss zu erleben, es war ein Höllentrip. Die Tränen der Erleichterung fließen. 


Ich erhalte meine hochverdiente Medaille. Hole meine Sachen und ziehe erst mal die Schuhe aus… meine Füße sind nur noch Wunden… Schnell umziehen und hop zum Zug…. Um 15:30 bin ich wieder in Karlsruhe… einige sind noch unterwegs… Duschen, essen, schlafen… das ist das einzige was ich noch schaffe.


PS: Eine Reise nach Lyon ist aus Deutschland nicht besonders kompliziert (und teuer):
Flug nach Lyon und dann Shuttle zum Bahnhof Part-Dieu und U-Bahn,
Zug direkt von Stuttgart oder Frankfurt und U-Bahn.
Von dem Eventhalle bis zum Start gibt es Shuttlebusse. Zurück nach Lyon läuft man einfach ;-)