Dieser Wettkampf mit Start in Val d’Isere war letztes Jahr
etwas Besonderes für uns. Wo lebt man schon auf 1800müNN als gäbe es nichts
Normaleres und besteigt im Rennen gleich zwei Dreitausender? In Europa
einmalig! Denn der High Trail Vanoise ist ein des höchstgelegenen Rennen Europas und
war 2018 zu Recht Teil der Skyrunning World Series. Keine Frage dass wir
Flachlandtiroler uns da ein paar Tage Akklimatisierung vor dem Wettkampf
gönnen! Val d Isere ist ein trainingsparadies: neben Trail running, wandern,
Mountainbiken und Klettern, hab man auch noch die Möglichkeit kostenlos das
feine Hallenbad auf 1800müNN zu nutzen. Eine super Sache, vor allem wenn die
Beine noch müde vom vergangenen Wettkampf sind. Wir kommen gerade vom Olympus
Marathon und schwimmen war auch mein Plan, wäre da nicht diese tiefe
Schnittwunde am Schienbein… Shit happens, nächstes Jahr!
Zu unserem Akklimatisierungsprogramm gehörtes die Strecke
des Kilometre Vertical (KV) zu bewältigen. Ich nutze die kostenlose Seilbahn
für ein reines Uphilltraining und gehe direkt mehrmals das KV hoch. Am Folgetag
mach wir das Spielchen umgekehrt: rauf mit der Seilbahn, dieses Mal zum lac de
l‘ouillette und runter über die Downhillstrecke der 20k-Distanz des High Trail
Vanoise. Einmal Osoll als kleiner Input vor dem Rennen reichen.
Und zack ist auch schon Freitag. Wettkampftag für Anna, sie
startet beim KV Face de Bellevarde. (Erstes KV Frankreichs) Auf nur 2,4km müssen
hier 1000mD+ überwunden werden. Wenig laufbare Passagen, zügiges Hiken mit
Stöcken ist angesagt. Aber es gibt auch immer wieder Starter, die auf diese
Hilfsmittel verzichten. Mutig. Der Start erfolgt im 30sek-Takt gemäß den
geschätzten Laufzeiten. Die langsameren Läufer haben Vorrang. Mit einer
Ausnahme: Als allererster Läufer wird der spätere Zweitplatzierte nach oben
geschickt, denn er ist Zielsprecher. Während Anna sich in der prallen Sonne die
Face de Bellvarde hochfightet, steige ich bequem in die Seilbahn... Ich nutze
diese Gelegenheit, um die herrlichen Bergspitzen ringsum zu bewundern. Ich kann
quasi meine gesamte Reise für morgen überschauen. In einer großen Acht wird es
von Val d’Isere über La Grande Motte (3650) und La Pointe Percee (3300) zurück
nach Val d’Isere gehen. Die Läufer kommen direkt an der Seilbahnstation oben
vorbei, müssen aber noch gut 150Hm weiter den Hang hoch. Eine echt fiese
Steigung zum Endspurt mit der steilsten Ziellinie im KV Circuit. Hopp hopp,
noch mal alles geben!
Anna wird großartige Zweite in diesem kurzen knackigen
Rennen gegen die Uhr. Die Schattenseite (aus meiner Sicht^^): wir müssen auf
die Preisverleihung warten…, ich bin etwas ungeduldig, denn ich weiß: morgen
wird ein langer Tag.
2:30 Uhr der Wecker klingelt. Es ist überflüssig zu
erwähnen, dass Unnötig zu sagen, dass es stockdunkel und meine Motivation am
Gefrierpunkt ist.... Aber ich erinnere mich an die schönen Bilder vom
Sonnenaufgang letztes Jahr. Es klappt, die Vorfreude siegt über die Müdigkeit.
Um 5:45 Uhr stehe ich am Start. Im Gegensatz zum letzten
Jahr ist heute ein T-shirt völlig ausreichend. Ok vielleicht Ärmlinge
zusätzlich. Um Punkt 6Uhr geht es los. Ich starte gefühlt langsam, denn die
Reise wird lang… Trotzdem bin ich nach 3km mehr oder weniger allein... 50m Abstand
zwischen den einzelnen Teilnehmern.... Start zu schnell? Wir werden sehen....
Ich lauf im Licht meiner Stirnlampe vor mich hin. Ich habe
mich für die Bindi entschieden, ein Leichtgewicht. Der Akku wird im maximalen
Modus nur anderthalb Stunden durchhalten, aber das sollte heute dicke reichen…
Wie im letzten Jahr darf ich den Sonnenaufgang auf über
3000m erleben. Unbezahlbar diese pure Morgenluft geppart mit dem Anblick der
erglühenden Berggipfel ringsum. Ich fühle mich gut, das Rennen kann beginnen. Schnelle
Verpflegung auf 3300m, Steigeisen überstülpfen (dieses Mal habe ich es geübt),
et voila, ich bin auf den Skipisten der Grande Motte unterwegs. Unbeschreiblich
die rote Sonne und der Blick auf die 4000er.
Alles läuft perfekt, ich komme im Downhill auf Schnee super
gut runter.... In la daille sind schon die Hälfte der Kilometer gepackt, ich
bin 20min schneller als im letzten Jahr. Anna wartet an der Verpflegung auf
mich.
Essen, Zaubertrank, Kuss und es geht weiter: den Picheru hoch. Die
nächsten 2km mit 800m+ sind für die meisten Läufer die Hölle. Die schnelleren
dürfen diesen Part im Schatten genießen, der Peloton leidet hier in praller
Sonne. Letztes Jahr hatte ich an diesen Anstieg das Feld aufgeräumt, dieses
Jahr leide ich. Der Olympus Marathon hat seine Spuren hinterlassen, alles
schmerzt und der Wunsch, aufzugeben, ist stark. Aber da es dieses Jahr direkt
nach dem Picheru keine Verpflegung gibt, müssen wir weiterkämpfen bis zum
Bailletaz-Pass. Ich erinnere mich dass ich
hier letztes Jahr von Seb Chaigneau gezogen wurde. Das war cool, dieses
Jahr bin ich allein.... Schade.
Mein Alleingang wird bergab unterbrochen. Ich bin
Gesamtzehnter und nun Kopf an Kopf mit Romain. 2018 habe ich die battle mit ihm
verloren, dieses Jahr zieht er mich bergab und ich ihnihn auf dem Weg nach
oben... Ein schönes, aber anstrengendes kleines Spiel.... Le Fornet. Ich habe
einen kleinen Vorteil. Annas Zaubertrank. Wir verlassen die Verpflegung
gemeinsam und Romain pusht sofort.... Ich halte mich zurück. Kurz vor dem
Iseran-Pass (dem höchsten Straßenpass Europas) muss Romain wegen Krämpfen kurz
anhalten. Ich laufe weiter und bin wieder 10ter....
Blitzverpflegung am Iseran. Romain ist auch schon da, er
macht eine Pause bei den Physios. Ich gehe.... beim Joggen möchte ich meinen
10. Platz als Synonym für ein Podium behalten! Auf 3000m angekommen, habe ich
keinen Saft mehr.... ich fühle mich wie ausgetrocknet. Ich sitze auf einem
Stein, ein kleiner Schub Meltonic. 3 Schlucke Wasser, 5 große Atemzüge, ein
Blick zurück. Niemand hinter mir, ich starte wieder. Die kleine Pause von nur einer
Minute zeigt ihre Wirkung. Ich erreiche zügig die zweite 3000er-Spitze, Pointe
percée. Und hier erfolgt der Abstieg hauptsächlich im Schnee. Stürzen ist hier
vorprogrammiert, denn der Schnee ist ziemlich matschig. Ein Fuß, der zu tief einbricht
und es ist der Fall.
Die Strecke führt noch einmal zum Iseran. Für mich fühlt es
sich wie das Ende an. Es bleibt der steile rutschige Aufstieg zum 3000er Tunnel
und dann lasse ich die Pferde los........
Dieses Jahr gebe ich alles beim letzten Abstieg nach Val
d’Isere runter. Letztes Jahr hatte ich hier zwei Plätze verloren, das soll
nicht noch einmal passieren. Ich treffe auf Wanderer, die mir zurufen, ich
solle vorsichtig sein, es gibt Steine auf dem Weg.... Ich lächle.... wenn sie nur
wüssten... Meine Oberschenkel wollen bersten, aber ich drücke weiter aufs
Tempo. Die Verfolger schlafen sicher nicht.
Dann komme ich an die Kurve die mich auf den letzten
Kilometer führen soll. Ein Freiwilliger ist da. Er schickt mich in eine andere
Richtung!!! Nicht die schwarze Piste runter, nein, wir verlängern... Und es
geht auch noch bergauf! Und in eine völlig andere Richtung als Val d’Isere! Ich
drehe fast durch.
Endlich 3km später sehe ich Anna. Jetzt bleiben wirklich nur
noch 400m. Auf diesen 400m frage ich bestimmt 10mal ob keiner hinter mir ist.
Nein niemand. Ich wills nicht glauben und beschleunige weiter. Hand in Hand mit
Anna geht es über die Ziellinie. Platz 10! Podium neben Trailrunning-Monstern
wie Dmitry, Ludo oder Rémi! Ich bin stolz wie Bolle!
Während ich noch auf Wolke sieben über die Trails dieses
unvergesslichen Tages schwebe und die verdiente Regeneration in vollen Zügen
genieße, steht Anna langsam die Anspannung des morgigen Rennes im Gesicht
geschrieben. Wie erholt werden die Beine sein nach dem Vertical von Freitag?
Haushohe Favoritin ist Ekaterina Mitayeva, die die Distanz les Balcons, eine
20k Strecke mit gut 1000Hm, schon 2017 für sich entschied. Das Rennen startet
wie immer Sonntagmorgen um 10Uhr, nach der Odysea (9k 30Hm), als letztes Rennen
des HTV-Wochenendes.
Anna: Die Strecke geht zunächst wellig durchs Tal und
schlängelt sich dann zwischen Felsbrocken zur ersten Hütte. Das Tempo ist
relativ teilweise rasant hoch wie für ein 20k-Rennen zu erwarten war. Noch
wechseln gut laufbare Anstiege mit flachen Trail und leichten Bergabpassagen.
Dann kommen wir in die Steigung zum Lac de l‘Ouillette. Einige Läufer haben mit
Stöcken vorgesorgt, ich bin mit den Händen auf den Knien unterwegs. Zähne zusammenbeißen
und nicht langsamer werden, es tut so oder so weh. Je schneller du gehst, umso
schneller bist du oben am See. Ich bin überrascht dass ich immer noch den
Rücken von Ekaterina keine 200m vor mir sehe. Bin ich zu schnell? Sicher weiß
sie um ihre Downhill-Stärke und vergeudet nicht unnötig Kräfte. Es fällt schwer
in den etwas weniger steilen Passagen wieder einen Laufschritt aufzunehmen, ich
kämpfe. Auch Ekaterina geht immer wieder, das macht sie irgendwie menschlich
für mich. Endlich die letzten paar Höhenmeter zum See. Die Zuschauer sind
voller Begeisterung, feuern uns an! Ich bin mega happy mit meiner
Uphill-Leistung und habe ein breites Lächeln im Gesicht! Es geht um den See zur
Verpflegung, atmen, die Beine fliegen lassen und etwas auslockern. Nächste
Aufgabe: den downhill meistern. Kurz vor dem Downhill, die Verpflegung am Skilift
Tête de Solaise.
Ich rausche durch, nehme nur die Anfeuerungsrufe mit, freue
mich mit welcher Begeisterung und Energie die Zuschauer dabei sind und mich als
Außenseiterin versuchen zu pushen. Wie lieb! Volle Konzentration im Downhill,
Tempo an der Grenze gefühlt klar in meinem Wachstumsbereich und nahe der Grenze
zur Panikzone. Ich geb mein bestes und freue mich schon Thibaud am Ende des
downhills in le Fornet (k13) zu sehen. Wir laufen gemeinsam durchs Dorf,
wechseln ein paar Worte. Ich bin gut drauf. Teil zwei ist geschafft, jetzt noch
mal Reserven mobilisieren für Teil drei des Rennens. Denn was auch immer man an
Zeit im ersten Uphill bis zum See oder im Downhill nach le Fornet runter
gewinnen kann, kann man auf den letzten 7km auch schnell wieder verlieren. Teil
drei beginnt mit zwei kurzen fiesen Anstiegen, darauf folgen einige km flach
den Balcon entlang. Gut wenn man hier noch „fliegen“ kann. Ich quäle mich, das
Tempo hoch zu halten. Irgendwann geht es runter ins Dorf. Man hört schon den
Sprecher im Ziel, aber es ist noch längst nicht gewonnen. Noch einmal in den
Wald den Hang hoch. Thibaud ist da, gibt mir ein paar Renninfos und einen
letzten Motivationsschub. Ich bin leer, aber mein Kampfgeist ist noch da!
Die
letzten Serpentinen fühlen sich brutal steil an. Sie sind es auch. Die Beine
wollen nicht mehr. Für einen Moment denke ich, dass ich hier nicht mehr
hochkomme und quasi rückwärts runterpurzele. Komm, Schritt für Schritt, nicht
stehenbleiben. Endlich komm ich aus dem Wald raus. Skipiste und das Ziel in
Sichtweite. Noch eine Schleife mit Thibaud und ich überquere als zweite Frau
die Ziellinie. Das war eine enorme Energieleistung die mit einem Zielfoto mit Ekaterina
. und Laury eloy in der französischen Trailzeitschrift belohnt wird. Bei den
Männern siegt Bernabeu Florian vor Etienne Loisel und Therisod Frederic.