Donnerstag, 12. September 2019

High Trail Vanoise, we are back!


Dieser Wettkampf mit Start in Val d’Isere war letztes Jahr etwas Besonderes für uns. Wo lebt man schon auf 1800müNN als gäbe es nichts Normaleres und besteigt im Rennen gleich zwei Dreitausender? In Europa einmalig! Denn der High Trail Vanoise ist ein des höchstgelegenen Rennen Europas und war 2018 zu Recht Teil der Skyrunning World Series. Keine Frage dass wir Flachlandtiroler uns da ein paar Tage Akklimatisierung vor dem Wettkampf gönnen! Val d Isere ist ein trainingsparadies: neben Trail running, wandern, Mountainbiken und Klettern, hab man auch noch die Möglichkeit kostenlos das feine Hallenbad auf 1800müNN zu nutzen. Eine super Sache, vor allem wenn die Beine noch müde vom vergangenen Wettkampf sind. Wir kommen gerade vom Olympus Marathon und schwimmen war auch mein Plan, wäre da nicht diese tiefe Schnittwunde am Schienbein… Shit happens, nächstes Jahr! 


Zu unserem Akklimatisierungsprogramm gehörtes die Strecke des Kilometre Vertical (KV) zu bewältigen. Ich nutze die kostenlose Seilbahn für ein reines Uphilltraining und gehe direkt mehrmals das KV hoch. Am Folgetag mach wir das Spielchen umgekehrt: rauf mit der Seilbahn, dieses Mal zum lac de l‘ouillette und runter über die Downhillstrecke der 20k-Distanz des High Trail Vanoise. Einmal Osoll als kleiner Input vor dem Rennen reichen.

Und zack ist auch schon Freitag. Wettkampftag für Anna, sie startet beim KV Face de Bellevarde. (Erstes KV Frankreichs) Auf nur 2,4km müssen hier 1000mD+ überwunden werden. Wenig laufbare Passagen, zügiges Hiken mit Stöcken ist angesagt. Aber es gibt auch immer wieder Starter, die auf diese Hilfsmittel verzichten. Mutig. Der Start erfolgt im 30sek-Takt gemäß den geschätzten Laufzeiten. Die langsameren Läufer haben Vorrang. Mit einer Ausnahme: Als allererster Läufer wird der spätere Zweitplatzierte nach oben geschickt, denn er ist Zielsprecher. Während Anna sich in der prallen Sonne die Face de Bellvarde hochfightet, steige ich bequem in die Seilbahn... Ich nutze diese Gelegenheit, um die herrlichen Bergspitzen ringsum zu bewundern. Ich kann quasi meine gesamte Reise für morgen überschauen. In einer großen Acht wird es von Val d’Isere über La Grande Motte (3650) und La Pointe Percee (3300) zurück nach Val d’Isere gehen. Die Läufer kommen direkt an der Seilbahnstation oben vorbei, müssen aber noch gut 150Hm weiter den Hang hoch. Eine echt fiese Steigung zum Endspurt mit der steilsten Ziellinie im KV Circuit. Hopp hopp, noch mal alles geben!
 
Anna wird großartige Zweite in diesem kurzen knackigen Rennen gegen die Uhr. Die Schattenseite (aus meiner Sicht^^): wir müssen auf die Preisverleihung warten…, ich bin etwas ungeduldig, denn ich weiß: morgen wird ein langer Tag.




2:30 Uhr der Wecker klingelt. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass Unnötig zu sagen, dass es stockdunkel und meine Motivation am Gefrierpunkt ist.... Aber ich erinnere mich an die schönen Bilder vom Sonnenaufgang letztes Jahr. Es klappt, die Vorfreude siegt über die Müdigkeit.

Um 5:45 Uhr stehe ich am Start. Im Gegensatz zum letzten Jahr ist heute ein T-shirt völlig ausreichend. Ok vielleicht Ärmlinge zusätzlich. Um Punkt 6Uhr geht es los. Ich starte gefühlt langsam, denn die Reise wird lang… Trotzdem bin ich nach 3km mehr oder weniger allein... 50m Abstand zwischen den einzelnen Teilnehmern.... Start zu schnell? Wir werden sehen....
Ich lauf im Licht meiner Stirnlampe vor mich hin. Ich habe mich für die Bindi entschieden, ein Leichtgewicht. Der Akku wird im maximalen Modus nur anderthalb Stunden durchhalten, aber das sollte heute dicke reichen…
 Wie im letzten Jahr darf ich den Sonnenaufgang auf über 3000m erleben. Unbezahlbar diese pure Morgenluft geppart mit dem Anblick der erglühenden Berggipfel ringsum. Ich fühle mich gut, das Rennen kann beginnen. Schnelle Verpflegung auf 3300m, Steigeisen überstülpfen (dieses Mal habe ich es geübt), et voila, ich bin auf den Skipisten der Grande Motte unterwegs. Unbeschreiblich die rote Sonne und der Blick auf die 4000er.

Alles läuft perfekt, ich komme im Downhill auf Schnee super gut runter.... In la daille sind schon die Hälfte der Kilometer gepackt, ich bin 20min schneller als im letzten Jahr. Anna wartet an der Verpflegung auf mich. 


Essen, Zaubertrank, Kuss und es geht weiter: den Picheru hoch. Die nächsten 2km mit 800m+ sind für die meisten Läufer die Hölle. Die schnelleren dürfen diesen Part im Schatten genießen, der Peloton leidet hier in praller Sonne. Letztes Jahr hatte ich an diesen Anstieg das Feld aufgeräumt, dieses Jahr leide ich. Der Olympus Marathon hat seine Spuren hinterlassen, alles schmerzt und der Wunsch, aufzugeben, ist stark. Aber da es dieses Jahr direkt nach dem Picheru keine Verpflegung gibt, müssen wir weiterkämpfen bis zum Bailletaz-Pass. Ich erinnere mich dass ich  hier letztes Jahr von Seb Chaigneau gezogen wurde. Das war cool, dieses Jahr bin ich allein.... Schade.

Mein Alleingang wird bergab unterbrochen. Ich bin Gesamtzehnter und nun Kopf an Kopf mit Romain. 2018 habe ich die battle mit ihm verloren, dieses Jahr zieht er mich bergab und ich ihnihn auf dem Weg nach oben... Ein schönes, aber anstrengendes kleines Spiel.... Le Fornet. Ich habe einen kleinen Vorteil. Annas Zaubertrank. Wir verlassen die Verpflegung gemeinsam und Romain pusht sofort.... Ich halte mich zurück. Kurz vor dem Iseran-Pass (dem höchsten Straßenpass Europas) muss Romain wegen Krämpfen kurz anhalten. Ich laufe weiter und bin wieder 10ter....

Blitzverpflegung am Iseran. Romain ist auch schon da, er macht eine Pause bei den Physios. Ich gehe.... beim Joggen möchte ich meinen 10. Platz als Synonym für ein Podium behalten! Auf 3000m angekommen, habe ich keinen Saft mehr.... ich fühle mich wie ausgetrocknet. Ich sitze auf einem Stein, ein kleiner Schub Meltonic. 3 Schlucke Wasser, 5 große Atemzüge, ein Blick zurück. Niemand hinter mir, ich starte wieder. Die kleine Pause von nur einer Minute zeigt ihre Wirkung. Ich erreiche zügig die zweite 3000er-Spitze, Pointe percée. Und hier erfolgt der Abstieg hauptsächlich im Schnee. Stürzen ist hier vorprogrammiert, denn der Schnee ist ziemlich matschig. Ein Fuß, der zu tief einbricht und es ist der Fall.

Die Strecke führt noch einmal zum Iseran. Für mich fühlt es sich wie das Ende an. Es bleibt der steile rutschige Aufstieg zum 3000er Tunnel und dann lasse ich die Pferde los........


Dieses Jahr gebe ich alles beim letzten Abstieg nach Val d’Isere runter. Letztes Jahr hatte ich hier zwei Plätze verloren, das soll nicht noch einmal passieren. Ich treffe auf Wanderer, die mir zurufen, ich solle vorsichtig sein, es gibt Steine auf dem Weg.... Ich lächle.... wenn sie nur wüssten... Meine Oberschenkel wollen bersten, aber ich drücke weiter aufs Tempo. Die Verfolger schlafen sicher nicht.
Dann komme ich an die Kurve die mich auf den letzten Kilometer führen soll. Ein Freiwilliger ist da. Er schickt mich in eine andere Richtung!!! Nicht die schwarze Piste runter, nein, wir verlängern... Und es geht auch noch bergauf! Und in eine völlig andere Richtung als Val d’Isere! Ich drehe fast durch.
Endlich 3km später sehe ich Anna. Jetzt bleiben wirklich nur noch 400m. Auf diesen 400m frage ich bestimmt 10mal ob keiner hinter mir ist. Nein niemand. Ich wills nicht glauben und beschleunige weiter. Hand in Hand mit Anna geht es über die Ziellinie. Platz 10! Podium neben Trailrunning-Monstern wie Dmitry, Ludo oder Rémi! Ich bin stolz wie Bolle! 




Während ich noch auf Wolke sieben über die Trails dieses unvergesslichen Tages schwebe und die verdiente Regeneration in vollen Zügen genieße, steht Anna langsam die Anspannung des morgigen Rennes im Gesicht geschrieben. Wie erholt werden die Beine sein nach dem Vertical von Freitag? Haushohe Favoritin ist Ekaterina Mitayeva, die die Distanz les Balcons, eine 20k Strecke mit gut 1000Hm, schon 2017 für sich entschied. Das Rennen startet wie immer Sonntagmorgen um 10Uhr, nach der Odysea (9k 30Hm), als letztes Rennen des HTV-Wochenendes. 

Anna: Die Strecke geht zunächst wellig durchs Tal und schlängelt sich dann zwischen Felsbrocken zur ersten Hütte. Das Tempo ist relativ teilweise rasant hoch wie für ein 20k-Rennen zu erwarten war. Noch wechseln gut laufbare Anstiege mit flachen Trail und leichten Bergabpassagen. Dann kommen wir in die Steigung zum Lac de l‘Ouillette. Einige Läufer haben mit Stöcken vorgesorgt, ich bin mit den Händen auf den Knien unterwegs. Zähne zusammenbeißen und nicht langsamer werden, es tut so oder so weh. Je schneller du gehst, umso schneller bist du oben am See. Ich bin überrascht dass ich immer noch den Rücken von Ekaterina keine 200m vor mir sehe. Bin ich zu schnell? Sicher weiß sie um ihre Downhill-Stärke und vergeudet nicht unnötig Kräfte. Es fällt schwer in den etwas weniger steilen Passagen wieder einen Laufschritt aufzunehmen, ich kämpfe. Auch Ekaterina geht immer wieder, das macht sie irgendwie menschlich für mich. Endlich die letzten paar Höhenmeter zum See. Die Zuschauer sind voller Begeisterung, feuern uns an! Ich bin mega happy mit meiner Uphill-Leistung und habe ein breites Lächeln im Gesicht! Es geht um den See zur Verpflegung, atmen, die Beine fliegen lassen und etwas auslockern. Nächste Aufgabe: den downhill meistern. Kurz vor dem Downhill, die Verpflegung am Skilift Tête de Solaise. 

Ich rausche durch, nehme nur die Anfeuerungsrufe mit, freue mich mit welcher Begeisterung und Energie die Zuschauer dabei sind und mich als Außenseiterin versuchen zu pushen. Wie lieb! Volle Konzentration im Downhill, Tempo an der Grenze gefühlt klar in meinem Wachstumsbereich und nahe der Grenze zur Panikzone. Ich geb mein bestes und freue mich schon Thibaud am Ende des downhills in le Fornet (k13) zu sehen. Wir laufen gemeinsam durchs Dorf, wechseln ein paar Worte. Ich bin gut drauf. Teil zwei ist geschafft, jetzt noch mal Reserven mobilisieren für Teil drei des Rennens. Denn was auch immer man an Zeit im ersten Uphill bis zum See oder im Downhill nach le Fornet runter gewinnen kann, kann man auf den letzten 7km auch schnell wieder verlieren. Teil drei beginnt mit zwei kurzen fiesen Anstiegen, darauf folgen einige km flach den Balcon entlang. Gut wenn man hier noch „fliegen“ kann. Ich quäle mich, das Tempo hoch zu halten. Irgendwann geht es runter ins Dorf. Man hört schon den Sprecher im Ziel, aber es ist noch längst nicht gewonnen. Noch einmal in den Wald den Hang hoch. Thibaud ist da, gibt mir ein paar Renninfos und einen letzten Motivationsschub. Ich bin leer, aber mein Kampfgeist ist noch da! 

Die letzten Serpentinen fühlen sich brutal steil an. Sie sind es auch. Die Beine wollen nicht mehr. Für einen Moment denke ich, dass ich hier nicht mehr hochkomme und quasi rückwärts runterpurzele.  Komm, Schritt für Schritt, nicht stehenbleiben. Endlich komm ich aus dem Wald raus. Skipiste und das Ziel in Sichtweite. Noch eine Schleife mit Thibaud und ich überquere als zweite Frau die Ziellinie. Das war eine enorme Energieleistung die mit einem Zielfoto mit Ekaterina . und Laury eloy in der französischen Trailzeitschrift belohnt wird. Bei den Männern siegt Bernabeu Florian vor Etienne Loisel und Therisod Frederic.